Dies sind die zwei großen Rätsel der Minoer:
Das erste Rätsel wird bleiben, solange ihre Sprache und Schrift (Linear A) nicht bekannt sind (und solange nur in Lehm gekritzelte Notizzettel gefunden werden vom Typ: "25 Schafe und ein Wagen ohne Räder")
Für das zweite Rätsel schien es in den Siebziger Jahren schon mal eine Antwort gegeben zu haben: Luce und andere sahen im Vulkanausbruch von Santorin die Ursache für den Kollaps der minoischen Kultur. Dies ergab ein in sich stimmiges Erklärungsmodell: eine Geschichte.
Seitdem wurde dieses Modell von fast allen ernsthaften Wissenschaftlern attackiert, und es scheint tatsächlich, dass es so nicht stimmen kann: die Zeiten stimmen nicht, die Ereignisse gegen Ende der minoischen Kultur waren komplexer als erst angenommen, und je intensiver man sich mit den Details befasste, desto weniger war man noch in der Lage, überhaupt eine Geschichte zu erzählen. Manche Wissenschaftler (z.B. Preziosi/Hitchcock) legen sogar großen Wert darauf, keine Geschichte zu erzählen.
Dies ist nun das Verdienst des vorliegenden Bandes. Die Autoren legen ein Modell vor, wie sich der Vulkanausbruch auf die minoische Kultur ausgewirkt haben könnte. Sie erzählen also eine Geschichte. Aber sie versuchen, sich mit geradezu besessenhafter Genauigkeit an den archäologischen Befunden zu orientieren. So haben sie dem Buch einen geradezu furchteinflößenden 140-seitigen "Gazetteer" angefügt, der Ausgrabung für Ausgrabung alle Grabungsbefunde benennt, die in Verbindung stehen mit der von ihnen behandelten Frage.
Die These des Buchs: Der Vulkanausbruch und vorausgegangene Erdbeben bewirkten einen Verfall der religiösen und politischen Legitimation des Systems, bei gleichzeitigem Ernteausfall über mehrere Jahre, Störung der Verkehrswege nach Osten (über Rhodos) und plötzlicher wirtschaftlicher Abhängigkeit von den Kornkammern des Westens (Mykene). Dies war die Basis für die Übernahme Kretas durch Mykener und die Installation einer mykenischen (griechischsprachigen und Linear B schreibenden) Bürokratie in Knossos.
Bewertung: Populärwissenschaftlich kann man das Buch nicht mehr nennen, aber trotzdem erschließt es sich dem Laien, der genügend Energie und Geld (€ 80 incl. Versand) dafür aufbringt. Ich fand es eine sehr spannende Lektüre. ©Hajo v. Kracht, 25. November 2003
Klicken Sie hier,
wenn Sie über eine Suchmaschine auf diese Seite kamen und die komplette Kreta-Bibliothek
sehen möchten.
|
|