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Philip Duke, The Tourists Gaze, the Cretans Glance

Archaeology and Tourism on a Greek Island

Left Coast Press, 2007 [@leftcoastpress, @amazon]

Das Thema is jedenfalls spannend: Wie beeinflussen sich akademische Forschung, ideologische Voreingenommenheiten, nationale, wirtschaftliche und Konsuminteressen bei dem, was im Jargon "Konstruktion der Vergangenheit" genannt wird? Was kommt schließlich vom akademischen Diskurs bei den Touristen an, die durch Kretas Museen und "Archaeological Sites" gekarrt werden?

Bereits etliche Autoren haben untersucht, wie Forscher bei der Rekonstruktion der Vergangenheit durch ihre eigene Ideologie geleitet werden. Manchmal sind solche Dinge im zeitlichen Abstand klarer zu sehen . Im Fall des Haupt-Ausgräbers von Knossos, Sir Arthur Evans, gibt es dazu - nicht zuletzt provoziert durch seine drastischen Rekonstruktionen in Beton - ganze Bibliotheken.

Aber das ist nur das erste Sieb, wie Duke es nennt: Die Theorien, die in mehr oder weniger um Objektivität bemühter Forschung aufgestellt werden, entfalten auch ein Eigenleben: in Touristenbroschüren, auf Internet-Seiten, in Reiseführern verdichten sie sich zu Erzählungen, die selektiv einige Aspekte hervorheben, andere auslassen, sich manchmal beharrlich an längst veraltete Theorien haften, manchmal begierig neuste Forschungstrends halbverstanden aufschnappen.

Philip Duke ist Professor für Anthropologie, und im vorliegenden Band (109 Textseiten plus Literaturliste, Index und "Site Gazetteer") versucht er das Gestrüpp überlagerter Interessen und Interpretationen im Fall des minoischen Kreta zu ordnen, wobei er dem Aspekt "Tourismus" grosse Aufmerksamkeit widmet. Seine These ist, dass über die touristische Vermittlung den Besuchern der kretischen Ausgrabungsstätten und Museen eine monolithische Darstellung einer spezielle Facette der Minoer eingetrichtert wird, nämlich dass soziale Ungleichheit das Wesen der minoischen Zivilisation ausmache, welche somit die soziale Ungleichheit des modernen Westens naturalisiere und rechtfertige (p.14).

In Kapitel 2 und 3 fasst Duke zunächst auf 22 Seiten den aktuellen Wissensstand über die Minoer zusammen: "Despite over one hundred years of intensive excavation and survey, the essentially prehistoric nature of the evidence has left archaeologists still searching for answers to most of the fundamental questions about Minoan society." Im Kontrast dazu: "The public ... is presented with a dated yet remarkably coherent and homogenous narrative" (p.54), und er präsentiert ein Bild des Touristen, der das Fremde sucht, ohne den Rahmen des Vertrauten wirklich zu verlassen, und der daher bereit ist, Abstriche an Authentizität hinzunehmen, sich also wissentlich etwas vormachen zu lassen, denn er ist nicht Erforschender sondern Konsument und wird auch als solcher bedient.

In Kapitel 5 untermauert Duke seine obige These, indem er darstellt, was der Tourist zu hören und zu sehen bekommt: auf Web Seiten, in Reiseführern und Broschüren, auf Führungen und von Einheimischen. Er kontrastiert die massive (und gefilterte) Information, die in Knossos über die Touristen ausgeschüttet wird, mit der Spärlichkeit etwa im Fall von Gournia, und er begibt sich in fast so etwas wie quantitative Untersuchungen, indem er eine Strichliste darüber führt, wie oft welche Ausgrabungsstätte in den Reiseführern erwähnt wird.

Bewertung: Der Text wirft interessante Fragen auf, kann aber kaum eine beantworten, da er auf einer qualitativen (und manchmal etwas kulturpessimistisch klagenden) Ebene verbleibt. Die von Duke aufgeworfenen Fragen hätten solide Feldforschung (Umfragen, quantitative Erhebungen etc.) verdient, die er schuldig bleibt. Auch berücksichtigt Duke nicht die Tatsache, dass die Touristen, die meist nicht wegen der Minoer nach Kreta reisen, bereits eine Vorbildung haben. Die Fragestellung, wie die Arbeit der Archäologen auf die Touristen wirkt, ist also nur ein Sonderfall der weiteren Frage, nämlich wie der wissenschaftliche Diskurs allgemein auf die Öffentlichkeit wirkt. Da Duke in den meisten Fällen nur anekdotische Beweise für seine Thesen anführt, kann er nicht viel mehr als seine - immerhin interessante - Meinung offerieren.

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