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Paul Faure, Kreta

Das Leben im Reich des Minos

Reclam, 1976
orig. La Vie quotidienne en Crête au temps de Minos (1500 avant Jésus-Christ), 1973 [@amazon]

Paul Faure ist französischer Archäologe, der (wie Eberhard Fohrer versichert) jahrelang auf Kreta Ausgrabungen durchgeführt hat. 1973 veröffentlichte er eine ausführliche Gesamt­darstellung der Welt der Minoer. Das Buch, 1983 als 480-seitiges Taschen­buch auf deutsch erschienen, ist nur antiquarisch (aber recht günstig) zu haben. Die Informationsfülle des Buches ist überwältigend. Es stellt Castleden's Minoans (der offenbar sehr von Faure profitiert) in dieser Beziehung weit in den Schatten.

Das Buch ist um so besser, je konkreter die Dinge sind, die Faure beschreibt. Er hat offenbar Land und Leute gründlich studiert. Eine seiner Grundüberzeugungen besteht darin, dass sich die Menschen nicht so schnell ändern: dass man an traditionellen Lebensweisen, Bräuchen, handwerklichen Verfahren mehr oder weniger direkt ablesen kann, wie das Leben zu Zeit "des Minos" war. Deshalb beobachtet und berichtet er sehr genau diese Lebensverhältnisse: das geographische, klimatische Umfeld, Landwirtschaft und Handwerk, ausgehend von eigener Beobachtung, dem was man über die gesamte Zeit zwischen dem klassischen Griechenland und heute weiss. Heraus kommt ein sehr farbiges Bild von auf einzelne Täler verstreuten Bauern und wandernden Handwerkern, das sicher viel wahres aber auch statisches hat. Eine Menge kleiner bäuerlicher Gemeinschaften, bauen die solche Paläste?

Auffallend ist, dass Faure zu der Generation von Wissenschaftlern gehört, die grundsätzlich alles wissen. Zum Teil ist seine emphatische Sprache ganz lustig zu lesen ("Nichts, gar nichts beweist, dass der kretische Winzer Harz in seinen Wein getan hat"), aber je weiter ich in dem Buch kam, desto anstrengender wurde es für mich, die gelieferten Informationen von den immer stärker aufgetragenen Vermutungen des Autors zu trennen ("Unter diesen Bedingungen fischten die Zeitgenossen des Minos bei ruhigem Wetter gern im Mondschein").

Diese Vermutungen stützt er häufig auf die Mythen um Minos und sein Gefolge. Dabei tut er so, als sei König Minos eine minoische Figur und nicht eine Projektion der späteren Griechen zu Zeiten Homers. Insbesondere bei seinem Versuch, die Sozialstrukturen der Minoer zu rekonstruieren, entsteht ihm daher ein Bild, das eine ganz widersprüchliche Kombination von spartanischer Militärorganisation und friedliebend femininem Individualismus ist.

Ich hätte das Buch nach den ersten zwei Dritteln aus der Hand legen sollen, dann wäre mein Urteil: hervorragend.

Bewertung: Die ersten vier Kapitel gehören mit zum Besten, was ich über die Minoer bislang gelesen habe. Sehr gut recherchiert, detailreich und lebendig wird die Lebensgrundlage der Bronzezeit rekonstruiert. Danach wird das Buch für mich aber recht ermüdend. Die gesellschaftliche Welt, die minoische Hochkultur wird für mich in dem Buch nicht spürbar.

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