Fritz Graf,
Griechische Mythologie

Eine Einführung

Wie jedermann weiß, wurde der Begriff "minoisch" von Arthur Evans geprägt und passt nur schlecht auf die so benannte Hochkultur Kretas aus der Zeit von 2000 bis 1400 v.Chr. Trotzdem ist es fast unmöglich, sich von der Vorstellung zu lösen, die Paläste von Knossos, Mallia, Zakros, Phaistos hätten etwas mit König Minos, dem Minotaurus, Ariadne und dem Faden zu tun.

Und es gibt seit Schliemann ja genügend ernsthafte Forscher, die in den alten Mythen verschwommene Reste von wirklicher Historie sehen, wobei immer klar ist, dass man diese Geschichten nicht einfach wörtlich nehmen kann, sondern irgendwie rationalisieren muss: Prinzessin Europa ist sicher nicht auf dem Rücken eines Stiers übers Meer geschwommen, aber vielleicht wurde Kreta tatsächlich von Syrien aus besiedelt und der Europa-Mythos gibt das in märchenhaft verfremdeter Form wieder? (Luce ist nur einer von vielen, die sich in diese Richtung versuchen)

Hier gibt Fritz Graf in seinem kleinen Bändchen eine gute übersicht: was zu verschiedenen Zeiten in die griechischen Mythen hineingelesen wurde, wie sie sich selbst über die Zeit verändert haben, und wie sie auch von Tragödie, Dichtung und Philosphie genutzt und umgedeutet wurden. Auch moderne Bezüge (Freud, C.G.Jung, Lévi-Strauss und andere) werden eingeflochten.

Insgesamt ist Graf eher skeptisch: die Mythen dienen ihrer jeweiligen Zeit dazu, die Welt, sich selbst und ihre Herkunft zu erklären, und sie tun dies vielschichtig, ohne dass man sie auf im heutigen Sinn "wirkliche" Historie zurückführen kann. Der Autor beschreibt dies lesbar, nachvollziehbar und ausgewogen.

Wenn das Buch Einschränkungen hat, dann sind dies aus meiner Perspektive zwei:

• Ausser in einigen kurzen Zusammenfassungen im Kleingedruckten werden die griechischen Mythen nicht erzählt sondern vorausgesetzt. Man sollte Homer gelesen haben.
• Der kretische Zyklus fehlt - ausser im Theseusmythos - ganz und gar. Pasiphaë, Glaukon, Lailaps, Amaltheia und alle anderen meiner Lieblingsfiguren, die etwa bei Vassilakis sehr lebendig werden, kommen überhaupt nicht vor.