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Yannis Hamilakis (Hg)
Labyrinth Revisited

Rethinking 'Minoan' Archaeology

Oxbow Books 2002. [ @amazon, Oxbow]

Herausgeber und Co-Autor Hamilakis will mit dem Buch etwas bewirken: Er wirft den minoischen Archäologen (er ist selbst einer!) vor, einseitige Paradigmen und methodische Prinzipien zu vertreten, die das Verständnis damaliger sozialer Verhältnisse, wirtschaftlicher und sozialer Aktivitäten, Geschlechterrollen, Herrschaftsverhältnisse etc. behindern. Insbesondere wirft er seinen Gegnern 'Evolutionismus' vor, womit er meint, dass eine Epoche nicht in ihrem eigenen Recht, sondern nur als Vorläufer der nachfolgenden gewürdigt wird.

So ist das Buch eine akademische Streitschrift, bei der die Autoren manchmal mehr darum bemüht sind, sich vor Gegenangriffen ihrer Wissenschaftlerkollegen zu verschanzen (etwa durch einschüchternde Literaturlisten zu jedem einzelnen der elf Beiträge), als um Lesbarkeit für Laien wie mich.

Nur wenige der Beiträge handeln ohne Umschweife direkt vom Gegenstand dieser Wissenschaft: Marianna Nikolaidou versucht, den Menschen der ersten minoischen Staaten ein Gesicht zu geben (mir gefällt's, aber es ist gerade der Typ von "Erzählung", der derzeit unter den strengen Wissenschaftlern verpönt ist), Peter M. Day und David E. Wilson beschreiben eindrücklich die Bedeutung der Landschaft für die besondere Rolle von Knossos

Die meisten Beiträge aber behandeln weniger den Gegenstand als die Wirkungsgeschichte, wissenschaftssoziologische oder allgemein soziologische Fragen, wobei sie einen gewaltigen methodischen Überbau vor sich her tragen.

John C. McEnroes Aufsatz über die Geschichte der Ausgrabungen auf Kreta im politischen Umfeld der Vorkriegszeit 1898-1913, Louise Hitchcocks und Paul Koudounaris' Abrechnung mit Arthur Evans' Beton-Rekonstruktion von Knossos, sowie Donald Preziosis Essay über die Bedeutung des Museumsbetriebs als national[istisch]er Erziehungsanstalt sind dabei durchaus lesenswert. (Sein Hinweis auf die Freimaurerei als Ursprung des Museums-Gedankens hat mich ziemlich verblüfft.)

Ein Negativbeispiel ist für mich ein Aufsatz von Carl Knappett, der die Keramikfunde mit der damaligen Gesellschaft in Beziehung setzen will, dafür einen riesigen soziologischen Schematismus aufbaut, und von Bourdieu über Durkheim und Malinowski alles bemüht, was einen soziologischen Namen hat, dies alles aber einfach nur dogmatisch behauptet. (Dies ist auch John Bennet aufgefallen, der - originell - als letzten Aufsatz dieses Sammelbandes gleich eine Buchbesprechung des Buches selbst liefert.)

Bei all dieser zur Schau getragenen methodischen Selbstreflektion fällt mir beispielsweise auf, dass Aleydis Van de Moortel sich in ihrem Beitrag zwar sehr darum bemüht, Keramikfunde in Beziehung zu setzen zu sozialen und politischen Verhältnissen, dabei aber "Kostenreduktion", "Profit", "Preis" und andere auf Geldwirtschaft bezogene ökonomische Begriffe verwendet, ohne klarzumachen, was diese Begriffe in Abwesenheit von Geld bedeuten. Wie kann ein eigenständiges ökonomisches Subsystem denn ohne eine durch Geld vermittelte Warenwirtschaft existierten? Vielleicht fehlt mir ja nur der wissenschaftliche Hintergrund, das zu verstehen. Oder aber die Selbstreflektion ist doch weniger voraussetzungsfrei als den Autoren klar ist.

Bewertung: Eine schwergewichtige Aufsatz­sammlung minoischer Archäologie, die ganz bewusst minoisch in Anführungszeichen schreibt. Es ist eine Streitschrift innerhalb des Wissen­schafts­betriebs, nicht einfach zu lesen, aber eröffnet Einblick darin, was aktuell debattiert wird. Mit Sicherheit nicht einfach das Gelbe vom Ei.

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