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Otto Neugebauer,
The Exact Sciences in Antiquity

Dover Publications, 1969 [Nachdruck der Ausgabe der Brown University Press von 1957] [@amazon]

Zwar verliert Neugebauer in diesem Buch kein Wort über die Minoer - den Gegenstand dieser kleinen Bibliothek - trotzdem halte ich es für eines der spannendsten Bücher, die ich über diese Zeit gelesen habe. Warum?

Erstens war Otto Neugebauer selbst eine außergewöhnlich interessante Figur: er begründete praktisch das Fach "Geschichte der Mathematik", wurde zu einem der ersten Experten in babylonischen Keilschriften, war Herausgeber des "Zentralblatts für Mathematik" in Göttingen, floh vor den Nazis erst nach Kopenhagen, dann in die USA und starb dort hochbetagt im Jahr 1990. (Mehr dazu findet sich über eine Google-Suche)

Zweitens handeln wesentliche Teile des Buchs von der Mathematik der Babylonier aus der Zeit von 1800 v.Chr. bis 1600 v.Chr. So wie er die Sache darstellt, handelte es sich dabei nicht um Geheimwissenschaft und man kann vermuten, dass dieses Wissen den Minoern zumindest prinzipiell zugänglich gewesen sein kann. Kontakte hat es über den gesamten Raum zwischen Kreta, Babylon und Ägypten offenbar gegeben.

Drittens gehört sein Buch - geschrieben 1957 und wieder aufgelegt 1969 - in eine Klasse mit John Chadwicks Decipherment of Linear B: nach fünfzig Jahren noch taufrisch, wissenschaftlich messerscharf und spannend geschrieben. Dass es ganz und gar keine leichte Lektüre ist und meine verschütteten Mathematik­kenntnisse teilweise weit hinter sich lässt, hat damit zu tun, dass das Wissen der alten Babylonier eben sehr viel weiter war, als man das heute hochnäsigerweise anzunehmen gewohnt ist: das macht das Buch also noch spannender.

Neugebauer behandelt die Entwicklung der Mathematik von den "alten" Babyloniern (1800 v.Chr) bis hin zur hellenistischen Astronomie des Ptolemäus, dach dem es - so der Autor - bis zur Zeit von Newton in vielerlei Hinsicht kaum echte Weiterentwicklung gab.

Stil und Einstellung Neugebauers wird vielleicht am schönsten ausgedrückt durch ein Zitat von ihm selbst: "I see the main purpose of historical studies in the unfolding of the stupendous wealth of phenomena which are connected with any phase of human history and thus to counteract the natural tendency toward oversimplification and philosophical constructions which are the faithful companions of ignorance."

Bewertung: Anspruchsvoll, spannend, und nach zweimaligem Lesen (zumindest für mich) noch lange nicht ausgeschöpft.

Nachtrag November 2010: Ein sehr interessanter Artikel erschien in der New York Times vom 27.11.2010 unter dem Titel Masters of Math, From Old Babylon, in dem Neugebauer ausdrücklich gewürdigt wird.

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