Der Roman ist eine Nacherzähung der Theseus-Sage, einschliesslich
Ariadne-Faden, Minotaurus, Daedalos und Ikaros. Held ist der
Lilienprinz, der von einem der berühmtesten minoischen Fresken aus dem Palast
von Knossos inspiriert wurde. (Mehr zu diesem Bild und seiner Echtheit in der
Besprechung zu Preziosi/Hitchcock.)
Thematisiert werden die Ablösung des matriarchalischen durch das patriarchalische
Prinzip, der Bronezeit durch die Eisenzeit, der Kreter durch die Griechen,
sowie der Ausbruch des Thera/Santorin-Vulkans als Katalysator für den Untergang
der minoischen Welt.
Drei Stränge fliessen in dem Buch zusammen:
- die von den Griechen - genauer von den Athenern - stammende Theseus-Sage,
- die von Brigitte Riebe als Zeugnisse einer matriarchalische Kultur
interpretierten Funde des minoischen Kreta,
- die Insel Kreta selbst, die die Autorin offensichtlich gut kennt.
Mir gefällt das Buch gut im Detail: im Stil, der Lebendigkeit bei der Beschreibung
von konkreten Details, der Art, wie die Orte, die Personen und ihre Konflikte
herausgearbeitet werden.
Den grossen erzählerischen Bogen hingegen halte ich nicht für überzeugend. Das Kreta,
von dem die Theseus-Sage erzählt, ist eben nicht das Kreta, das sich in den minoischen
Spuren wiederfindet.
- Die Theseus-Sage stammt von den (strikt patriarchalisch orientierten) Griechen
aus einer Zeit 1000 Jahre nach dem Thera-Ausbruch. Dort gibt es den
bösen und mächtigen König Minos, der die Athener drangsaliert und ihre Kinder dem
Minotaurus zum Frass vorwirft.
Diesen Minos pflanzt die Autorin in eine matriarchalische Herrschaftsstruktur als ziemlich
zahnlosen Ehemann der eigentlichen Herrscherin Pasiphae, und man weiss den ganzen
Roman hindurch nicht so recht: Hat er nun was zu sagen oder nicht?
- Das "Haus der Doppelaxt" - wohl der prachtvolle minoische Palast von Knossos -
war für die späteren Griechen das verwirrende Labyrinth. Brigitte Riebe stellt einfach
beide Gebäude nebeneinander.
- Die Athenischen Jugendlichen wurden nach der Theseus-Sage dem Minotaurus zum Frass
vorgeworfen. Das passt natürlich nicht zu Brigitte Riebes friedlichem Bild einer
matriarchalischen Kultur. Im Roman sind sie deshalb einerseits
Gefangene des Minos, andererseit wird ihnen eigentlich nur etwas Gutes getan.
Es ist natürlich die Frage, wie präzise ein Roman historische Details wiedergeben muss.
Dadurch, dass Brigitte Riebe zwei Stränge in dem Buch zusammenbringt, die ganz verschiedene
Geschichten erzählen,
entstehen logische Brüche, die es mir schwer gemacht haben, den Roman ganz zu geniessen.
Vielleicht bin ich nur zu pedantisch.
Bewertung: Ein gut geschriebener und lesenswerter Roman, der sehr lebendig
ein Kreta vor dem geistigen Auge entstehen lässt, dass es so nie gegeben hat.
Gute Urlaubslektüre.
Andere Meinungen:
11.08.09 (Eine Leserin dieser Seite gab folgenden Kommentar ab:)
Dass die Griechen zur Zeit Theseus "strikt" patriarchal ausgerichtet gewesen seien
stimmt so nicht. Sie hatten aber die Dominanzverhätlnisse und die
Interpretationsherrschaft berets patriarchalisch dominiert. Brigitte Riebe hat
eine Entschleierung der mythischen Propaganda aus ihrer Sicht vorgenommen, die
teilweise auch belegbar ist. Sehr lesenswert ist dazu immer noch Joseph Campbell,
Die Masken Gottes, Bd. westliche Mythologie. Sprachlich finde ich den Roman in
den erotischen Szenen reichlich albern!
©Hajo v. Kracht, 13. Januar 2003
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