Joseph W. Shaw, Kommos
A Minoan harbor town and Greek sanctuary in southern Crete
The American School of Classical Studies at Athens, 2006
[@amazon,
Website Kommos Community]
Wie viele andere auch, habe ich mich durch die touristisch "erschlossenen"
Ausgrabungen von Knossos, Phaistos und Agia Triada führen lassen und hatte dann
den Eindruck, einigermaßen verstanden zu haben, wie man sich Kreta zur
Zeit vor 3500 Jahren vorzustellen hat. Zwei, drei, vielleicht vier große
Paläste bzw. Tempel; irgendwann war schlagartig Schluss damit, und die Gelehrten
rätseln immer noch darüber, wer oder was diese Zivilisation wie einen
Lichtschalter ausgeknipst hat.
Dann gibt es da immer wieder diese braunen Straßenschilder mit der
Aufschrift "Archaeological Site", die oft vor einem soliden verschlossenen
Zaun enden. Einer dieser Zäune steht am Strand, kurz vor dem freundlichen
Touristenstädtchen Matala. Na ja, immerhin liegt daneben ein netter Sandstrand,
so dass die Fahrt hierher nicht ganz umsonst war.
Jetzt öffnet Joseph Shaw einen Blick hinter den Zaun, und für mich tun sich
gleich drei neue Welten auf einmal auf:
- Wo stand in der Zeit der Minoischen Paläste die längste Mauer, gebaut
aus den größten Quadersteinen? Nach dem, was man ausgegraben hat, nicht in
Knossos oder einem der anderen "großen" Paläste, sondern in Kommos, wo
es um dieselbe Zeit ein Gebäude ähnlicher Art gegeben hat, wenngleich das Meer
viel weniger davon übrig ließ. Nach Knossos, Phaistos, Mallia, Zakros,
Galatas, und Chania ist dies die siebte dieser Strukturen, die man kennt, und mit weiteren kann
man wohl rechnen. Diese Minoer müssen gebaut haben wie die Wahnsinnigen.
- Anders als in Phaistos, Zakros, Mallia und Galatas, die erst zerstört und
dann aufgegeben wurden, und anders als Chania, das unter der heutigen Stadt
liegt (und insofern nie aufgegeben wurde), ziehen sich die Spuren der Nutzung
von Kommos quer durch die "dunklen Jahrhunderte" hindurch in die griechische
Zeit und enden dann irgendwann im tiefen Sand. Reste Phönizischer Aktivitäten
geben einen Blick frei auf eine Zeit, über die man kaum etwas weiß.
- Nicht zuletzt öffnet uns das Buch einen Blick auf die Welt der Archäologie
in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Das macht den besonderen
Charm des Textes aus: dass die Akteure sich hier nicht hinter ihrer Wissenschaft
verstecken, sondern ganz menschlich hervortreten. Wie fühlt es sich an,
dreißig Jahre seines Lebens einer einzigen Ausgrabung zu widmen?
Bewertung: Ein sehr angenehm zu lesendes Buch, das die Arbeit der
Ausgräber von Kommos in lockerer Form nahebringt. Ich erfuhr viel neues über die
Minoer, ihre Nachfolger und die Tätigkeit moderner Archäologen. Ganz zuletzt
erhält man sogar einen Tip, wie man zu einem Schlüssel kommen kann, der den Zaun
rund um die Ausgrabungsstätte öffnet.
©Hajo v. Kracht, 25. Mai 2006
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